Die Tüten-Tüte
veröffentlicht am 27. April 2019
Ich habe heute mal wieder meinen Flur sauber gemacht. Also so richtig. So gründlich macht man das ja nicht jedesmal. Da muss die kleine Kommode weggeschoben werden, alle Schuhe werden weggeräumt und auch der Kleiderständer für die Jacken verschwindet für eine Weile im Wohnzimmer, solange der Boden nach dem Wischen noch trocknet. Dabei ist mir meine Tüten-Tüte in die Hände gefallen.
So eine Tüten-Tüte findet sich in jedem Haushalt. Darin sammelt man Taschen und Einkaufstüten. Die Menschen sind umweltbewußt geworden und eine Einkaufstüte sollte man öfter verwenden, um Plastikmüll zu vermeiden. Ausserdem werden einem heute auch an allen Ecken wieder Stoffbeutel angeboten. Einen Stoffbeutel kann man auf gar keinem Fall einfach wegwerfen. Und da sind nicht zuletzt die großen blauen Kunststofftüten des schwedischen Möbelhauses. Die hat man teuer bezahlt. Also hebt man diese Beutel und Tüten für den nächsten Einkauf auf.
Natürlich kommt es immer anders. Wer kennt nicht diesen typischen Samstagsvormittagssatz: »Du Schatz, wir brauchen noch Teelichter, lass uns doch noch schnell bei Ikea vorbeifahren«.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass kein Mensch in der Lage ist beim Schweden »nur« eine Packung Teelichter zu kaufen. Diese werden dort subventioniert angeboten, damit die Menschen noch dutzende andere Dinge erwerben, die sie eigentlich nicht benötigen. Und selbstverständlich hat niemand in diesem Moment die blaue Tasche vom letzten Einkauf dabei. Die ist wie immer in der Tüten-Tüte geblieben. Also ersteht man einen weiteren blauen Beutel.
Wie immer. Natürlich legen sich die Menschen dann gerne eine Entschuldigung zurecht: »Das macht nix, Schatz. Die Tüte verwenden wir, um die Pfandflaschen zu sammeln.« Natürlich ist das Selbstbetrug. Denn die Flaschen werden längst in der Tüte vom letzten Einkauf gesammelt. Also wandert diese, wie all die anderen vielen Tüten und Beutel, die man spontan erstanden hat in der Tüten-Tüte.
Ich komme noch aus einer Zeit, in der man Plastiktüten umsonst im Supermarkt bekam. Die sind natürlich lange vorbei. Damals hatte man die Plastiktüten oft als Müllbeutel verwendet. Sinnvollerweise gehören diese Umsonst-Tüten der Vergangenheit an. Heute muss man dafür teuer bezahlen. Doch eine Mülltüte für 50 Cent? Macht keiner. Also sammelt man auch diese Taschen in der Tüten-Tüte. Natürlich immer oben auf.
Der Mensch kann nichts dafür, er ist so.
Und so sammeln sich im Laufe der Jahre am Boden der Tüten-Tüte Plastiktaschen an, die fast schon kulturhistorischen Wert haben. Nicht selten findet man dort Plastiktüten längst nicht mehr existierender Supermarkt-Ketten. Also, die würde man finden, wenn man danach sucht. Macht man aber nicht. Lieber legt man sich eine zweite oder dritte Tüten-Tüte zu und sammelt weiter. Da sind Menschen wie Eichhörnchen. Und wie Eichhörnchen vergessen dann die Menschen, dass es eine Tüten-Tüte Nummer eins gibt. Das Problem dabei ist: Plastik ist zwar nahezu unverwüstbar, aber halt nur nahezu. Irgendwann werden diese alten Tüten irgendwie anders. Klebrig oder verfärben sich. Mit so einer Tüte geht man natürlich nicht mehr einkaufen. Und dann schmeißt man die komplette Tüten-Tüte irgendwann weg. Zum Beispiel, wenn man den Flur mal so richtig saubermacht und einem Tüten-Tüte Nummer Eins in die Hände fällt.
Also weg damit. Aber erst, wenn es dunkel geworden ist. Es ist ja inzwischen ziemlich peinlich mit soviel Plastikmüll vom Nachbarn erwischt zu werden. Und natürlich gelobe ich feierlich Besserung und werde in Zukunft an meine Tüten-Tüte denken, bevor ich einkaufen gehe.
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